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Interview bei der ThAK

In­no­va­ti­on statt Plot­scha­blo­nen — Im In­ter­view bei der THAK

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Wer ge­nug hat von Kli­schee-Thril­lern, seich­ten Nord­see-Kri­mis und im­mer glei­chen Plot-Scha­blo­nen, der wird hier auf­hor­chen. Un­se­re In­ter­view­part­ne­rin Ve­re­na Kolb hat als jun­ge Thü­rin­ger Au­torin kei­ne Lust mehr auf den li­te­ra­ri­schen Ein­heits­brei, der zwar gut ver­kauft wird, aber sel­ten Neu­es wagt. Statt­des­sen setzt die Psy­cho­lo­gie-Stu­den­tin aus Je­na auf düs­te­re End­zeit-Sze­na­ri­en, Gen­re-Mix und un­kon­ven­tio­nel­le Er­zähl­wei­sen, auf Ge­schich­ten, die Gren­zen aus­tes­ten und gän­gi­ge Mus­ter auf­bre­chen. Auch wenn das be­deu­tet, sich ab­seits der gro­ßen Ver­la­ge zu be­we­gen, die In­no­va­ti­on oft als Markt­ri­si­ko se­hen, für sie steht fest: Krea­ti­ve Ideen und fri­scher Wind im Thril­ler-Gen­re sind kein Nice-to-have, son­dern längst über­fäl­lig. Wir woll­ten mehr erfahren.

© Nadin Merten
© Na­din Merten

Wie fing das mit dem Schrei­ben bei dir an?

Ich ha­be ei­gent­lich schon im­mer ge­schrie­ben. Mei­ne ers­te klei­ne “No­vel­le“ ha­be ich mit sie­ben ver­fasst – ei­ne wil­de Ge­schich­te mit Di­nos, die ich über Jah­re hin­weg wei­ter­ge­schrie­ben ha­be. Da­mals wur­de so­gar et­was da­von in ei­ner Zei­tung ver­öf­fent­licht. In der Schu­le war ich im­mer Feu­er und Flam­me, wenn es ums Schrei­ben ging. Wäh­rend an­de­re ei­ne Kurz­ge­schich­te ab­ga­ben, schrieb ich gleich ein klei­nes Buch. Mit 17 ha­be ich dann mein ers­tes rich­ti­ges Pro­jekt ge­star­tet, oh­ne über­haupt zu wis­sen, dass es ein Buch wer­den wür­de. Ich ha­be ein­fach drauf­los ge­schrie­ben – ganz oh­ne auf Satz­bau oder Per­fek­ti­on zu ach­ten, ein­fach aus Spaß. Spä­ter wur­de dar­aus mein ers­ter End­zeit­thril­ler “Ge­fan­gen im Netz der Spin­ne“. Dann kam “Extinc­tia“, eben­falls im Dys­to­pie-Gen­re. In­zwi­schen ar­bei­te ich an mei­nem drit­ten Pro­jekt, das ge­ra­de in der Test­pha­se ist.

Wel­che Ge­schich­ten oder Autor:innen in­spi­rie­ren dich am meis­ten und warum?

Ich schöp­fe mei­ne In­spi­ra­ti­on vor al­lem aus dys­to­pi­schen Ge­schich­ten. Schon in mei­ner Ju­gend ha­ben mich Wer­ke wie “Die Tri­bu­te von Pa­nem“ oder “Mad Max“ fas­zi­niert. Auch die Bü­cher von Ur­su­la Pozn­an­ski ha­ben mich ge­prägt, be­son­ders “Ere­bos“, das da­mals sehr ge­hy­ped wur­de. Ich lie­be ih­ren krea­ti­ven Stil und wie span­nend ih­re Ro­ma­ne sind – egal ob für Ju­gend­li­che oder Er­wach­se­ne. Eben­so in­spi­rie­rend fin­de ich Se­bas­ti­an Fit­zek. Sei­ne Thril­ler sind voll­ge­packt mit Cliff­han­gern und er hat ein­fach sei­nen ganz ei­ge­nen Stil, was ich enorm wich­tig finde.

Cover "Gefangen im Netz der Spinne"
Co­ver “Ge­fan­gen im Netz der Spinne”

Was be­deu­tet In­no­va­ti­on für dich und wie zeigt sie sich in dei­nem Schreiben?

Für mich be­deu­tet In­no­va­ti­on, vom Alt­be­währ­ten ab­zu­wei­chen oder Be­stehen­des auf ei­ne völ­lig neue Wei­se zu kom­bi­nie­ren – wie das Mi­schen zwei­er Far­ben, die über­ra­schend gut har­mo­nie­ren. Es geht dar­um, Din­ge zu­sam­men­zu­brin­gen, die bis­her nicht zu­ein­an­der ge­hör­ten und dar­aus et­was völ­lig Un­er­war­te­tes zu schaf­fen. Klar, das ist im­mer mit Ri­si­ko ver­bun­den, aber ge­nau das braucht es, um wirk­lich Neu­es zu schaf­fen. Vie­le fol­gen ein­fach be­stehen­den Trends, aber die span­nends­ten Ge­schich­ten stam­men von de­nen, die ei­ge­ne We­ge ge­hen – wie Ste­phen King, der trotz zahl­rei­cher Ab­sa­gen nie auf­ge­ge­ben hat. Sein hand­werk­li­ches Kön­nen und sei­ne Be­harr­lich­keit sind für mich ein gro­ßes Vorbild.

Was pas­siert in dei­ner Schreib­werk­statt, wenn aus ei­ner Idee ein ech­ter Ro­man wird?

Mei­ne Schreib­werk­statt ist ein ziem­lich le­ben­di­ger Ort – chao­tisch und struk­tu­riert zu­gleich. Bei mei­nen ers­ten Pro­jek­ten ha­be ich ein­fach drauf­los­ge­schrie­ben, oh­ne viel Pla­nung. Mitt­ler­wei­le, beim drit­ten Ro­man, pla­ne ich zu­min­dest das Set­ting und die Fi­gu­ren ge­nau­er. Ich las­se mich da­bei stark von mei­nem Psy­cho­lo­gie-Stu­di­um in­spi­rie­ren. Men­schen sind für mich ein­fach un­glaub­lich span­nend: wie sie füh­len, den­ken, war­um sie han­deln, wie sie han­deln. Das Stu­di­um ist für mich ech­te Lei­den­schaft. Ich will al­les ver­ste­hen, auch wenn ich längst weiß, dass Men­schen oft selbst ihr größ­tes Rät­sel sind. Ge­nau das macht es so reizvoll.

Vie­le mei­ner Cha­rak­te­re ha­ben psy­chi­sche Be­son­der­hei­ten oder tra­gen in­ne­re Kon­flik­te mit sich. Das ist nichts, was ich mir ein­fach aus­den­ke, son­dern oft durch per­sön­li­che Be­geg­nun­gen oder theo­re­ti­schen In­put ge­prägt. So ent­steht et­was, das sich für mich nah und au­then­tisch anfühlt.

“Ich schrei­be in­tui­tiv – bis sich aus lo­sen Fä­den ein Tep­pich aus Plot, Fi­gu­ren und Emo­tio­nen webt“

Je­des Buch hat sei­nen ei­ge­nen Pro­zess. Aber meist schrei­be ich in­tui­tiv aus dem Bauch her­aus. Die Cha­rak­te­re be­kom­men Raum, sich zu ent­fal­ten, und ir­gend­wann schreibt sich  das Buch wie von al­lein. Das ist ein ma­gi­scher Mo­ment – manch­mal auch gru­se­lig, weil ich so tief in ei­ne Fi­gur ein­tau­che, dass ich kurz den Rea­li­täts­be­zug ver­lie­re. Et­wa bei der Hälf­te der Ge­schich­te kommt dann ein Punkt, an dem ich in­ne­hal­te. Ich spü­re, wie sich die Fä­den zu­sam­men­zie­hen. Dann ent­wer­fe ich das En­de, als wür­de ich ei­nen Tep­pich we­ben – mit all den Plots, Hints und Cha­rak­te­ren. Al­les, was lo­se bleibt, wird noch ein­mal fein säu­ber­lich über­ar­bei­tet oder her­aus­ge­stri­chen. Und das ma­che ich dann bis zu 25 Mal, weil ich je­des De­tail ver­ste­hen und spü­ren will.

Du stu­dierst ak­tu­ell noch Psy­cho­lo­gie in Je­na, willst aber nach dem Stu­di­um selbst­stän­di­ge Au­torin wer­den. War­um ent­schei­dest du dich be­wusst für ei­ne Ar­beit in der Kreativwirtschaft?

Ich se­he das Schrei­ben als mei­ne ei­gent­li­che Lei­den­schaft, auch wenn es kein ein­fa­cher Weg ist. In die­ser Bran­che geht es nicht pri­mär ums Geld­ver­die­nen. Na­tür­lich gibt es Mo­del­le, bei de­nen eher auf Quan­ti­tät als auf Qua­li­tät ge­setzt wird, aber das ist nicht mein An­spruch. Viel­mehr er­for­dert der Weg zur selbst­stän­di­gen Au­torin vor al­lem ei­nes: Ge­duld, Zeit und star­ke Ner­ven. Ge­ra­de am An­fang in­ves­tiert man viel, oh­ne dass so­fort et­was zu­rück­kommt. Autor:innen fi­nan­zie­ren sich meist nicht über ein ein­zel­nes Buch, son­dern über meh­re­re. Erst dann loh­nen sich bei­spiels­wei­se auch Mar­ke­ting­aus­ga­ben, weil man mit ei­nem grö­ße­ren Port­fo­lio meh­re­re Bü­cher gleich­zei­tig in die Ver­mark­tung ein­be­zie­hen kann. Das ha­be ich selbst so er­lebt. Gleich­zei­tig er­höht das den Druck, re­gel­mä­ßig neue Wer­ke zu lie­fern, weil der Markt ei­ne ge­wis­se Ver­öf­fent­li­chungs­fre­quenz er­war­tet. Das kann ei­nen schon stres­sen. Trotz­dem neh­me ich die­se Her­aus­for­de­rung ger­ne an, weil mir die krea­ti­ve Ar­beit am Her­zen liegt.

Cover "Extinctia"
Co­ver “Extinc­tia”

Wie ist es so, in Thü­rin­gen als Au­torin tä­tig zu sein?

Ich ha­be als Au­torin in Thü­rin­gen bis­her sehr po­si­ti­ve Er­fah­run­gen ge­macht. Vor al­lem das ThEx hat mich in mei­ner Grün­dung und beim Netz­wer­ken un­ter­stützt. Es gibt hier tol­le För­der­mög­lich­kei­ten für Gründer:innen, Work­shops, aber auch Netz­werk­ver­an­stal­tun­gen. Be­son­ders wert­voll ist auch der Aus­tausch mit an­de­ren Selbst­stän­di­gen aus ganz un­ter­schied­li­chen Bran­chen. Wir al­le ste­hen in ge­wis­ser Wei­se auf ei­ner öf­fent­li­chen Büh­ne. Ge­nau des­halb schät­ze ich den of­fe­nen Um­gang mit­ein­an­der sehr. In der Thü­rin­ger Gründer:innenszene kennt man sich, es ist per­sön­li­cher und we­ni­ger an­onym als et­wa in Ber­lin. Das schät­ze ich sehr und füh­le mich des­halb rich­tig wohl hier.

“Grün­den in Thü­rin­gen? Per­sön­lich, ver­netzt und ge­nau der rich­ti­ge Ort, um wirk­lich anzukommen.”

Wie stehst du zum The­ma KI und Schreiben?

KI und ich sind de­fi­ni­tiv ein gu­tes Team, al­ler­dings nut­ze ich sie we­ni­ger zum Schrei­ben selbst, son­dern vor al­lem für die Re­cher­che. Be­son­ders hilf­reich ist sie für tech­ni­sche oder me­di­zi­ni­sche De­tails, die ich für mei­ne Thril­ler brau­che. Ge­ra­de schrei­be ich an ei­nem Ro­man, der weit in der Zu­kunft spielt. Da lie­fert mir KI span­nen­de Ideen da­zu, wie sich ak­tu­el­le Tech­no­lo­gien wei­ter­ent­wi­ckeln könn­ten. Auch bei The­men wie Waf­fen­tech­nik oder Ver­let­zun­gen – Stich- oder Schuss­wun­den zum Bei­spiel – grei­fe ich gern auf sie zu­rück. Zwi­schen­durch ver­wen­de ich sie auch mal für klei­ne­re Din­ge, wie das Fin­den von Me­ta­phern oder Na­men, ein­fach zur Inspiration.

Ich be­ob­ach­te aber auch kri­tisch, was sich ge­ra­de auf dem Buch­markt tut. Es gibt durch­aus Autor:innen, die kom­plet­te Bü­cher von KI schrei­ben las­sen, aber das ist nicht mein Weg. Die­se Tex­te sind oft von min­der­wer­ti­ger Qua­li­tät. Für mich ist KI ein Re­cher­che­tool, kein Er­satz für krea­ti­ves Schreiben.

​​“Ein lee­res Blatt lässt sich nicht kor­ri­gie­ren. Der ers­te Text muss nicht per­fekt sein – Haupt­sa­che, du fängst an.“

Wie sieht dei­ne Zu­kunft aus und hast du ei­nen Tipp für jun­ge Autor:innen?

Wich­tig ist, beim Schrei­ben nicht zu per­fek­tio­nis­tisch zu sein. Der ers­te Text wird nie per­fekt sein! Setzt euch hin und schreibt ein­fach los, denn ein lee­res Blatt lässt sich nicht kor­ri­gie­ren. Und nicht ver­ges­sen: Der Kor­rek­tur­pro­zess ist der Mo­ment, in dem das Werk wirk­lich Form an­nimmt. Und: Ver­mei­det Druck­kos­ten­zu­schuss­ver­la­ge. Da wird man oft ab­ge­zockt und lässt sich an lang­fris­ti­ge Ver­trä­ge bin­den. Statt­des­sen kann man al­les auch kos­ten­los über Ver­la­ge ver­öf­fent­li­chen las­sen, oh­ne dass man für die Ver­öf­fent­li­chung zah­len muss oder im Ei­gen­ver­lag ver­öf­fent­li­chen. Ei­ne gu­te Ver­triebs­platt­form ist auch Ama­zon. Mar­ke­ting ma­che ich per­sön­lich für mei­ne Bü­cher über Face­book und In­sta­gram. Das er­setzt al­ler­dings nicht den per­sön­li­chen Kon­takt zu (po­ten­zi­el­len) Leser:innen auf Le­sun­gen und Buch­mes­sen. Ge­ra­de für klei­ne­re und jun­ge Autor:innen ist das di­rek­te, wohl­wol­len­de Feed­back enorm wert­voll. Autor:in zu sein ist ein Be­ruf, der ei­nen lan­gen Atem er­for­dert, und die­se Be­geg­nun­gen sind wie Licht­bli­cke, die ei­nem Kraft ge­ben, weiterzumachen.

Zu mei­ner Zu­kunft: Mein ab­so­lu­ter Traum ist es, ei­nen Best­sel­ler zu lan­den und viel­leicht ir­gend­wann zu ei­nem gro­ßen Ver­lag zu kom­men. Gleich­zei­tig ha­be ich die Mög­lich­keit, mei­ne Bü­cher selbst zu ver­öf­fent­li­chen, was be­deu­tet, dass ich un­ab­hän­gig blei­ben und nach mei­nen ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen schrei­ben kann. In Zu­kunft möch­te ich wei­ter­hin in­no­va­ti­ve Ge­schich­ten er­zäh­len, die so­wohl mich als auch mei­ne Leser:innen be­rüh­ren. Ich stim­me Ste­phen King zu, der sag­te, dass man zwar man­chen Leser:innen ge­fal­len soll­te, aber vor al­lem sich selbst treu blei­ben muss.

Au­torin: Ni­na Pal­me, Thü­rin­ger Agen­tur für Krea­tiv­wirt­schaft
Text­quel­le: https://thueringen-kreativ.de/innovation-statt-plot-schablonen/